Bericht von Oktober 2009, Adrian
 

Und dann trifft tatsächlich ein, was von langer Hand geplant war: wir treffen uns in Stuttgart, besteigen das Flugzeug und wechseln den Kontinent: Afrika. Oder zumindest dessen Vorposten Djerba. Schleusen uns vorbei an einschüchternden Zollbeamten und treffen samt voll geladenen Gepäckwägelchen auf Mohamed, der es eilig hat, den Flughafen zu verlassen. Definitiv nicht seine Welt eben. Unter Afrikas heisser Sonne wird das ganze Gepäck auf drei überraschend luxuriöse Gelände-Rover geladen und schon geht es zügig Richtung Süden. Da ist sie die Ferienstimmung: das Gesicht im Fahrtwind, Blick auf Sand, Palmen und Meer. Eine erste kurze Etappe führt zur Fähre, wo wir uns in ein anderes, langsameres Zeitgefühl einstimmen können. Wir warten, schauen dem Treiben der Menschen zu, dem Kommen und Gehen rund um die Fähren. Auch wir werden eingehend aber nicht unfreundlich betrachtet. Des weiteren werden die Trinkflaschen verteilt und wir können erste Übungen im viel Trinken machen. Schliesslich sind wir für die Fähre an der Reihe und auf dem Festland angekommen wird die Reise umgehend fortgesetzt. Durch die Fensterscheiben erhaschen wir die schnell vorbeiziehenden Bilder einer uns doch fremden Welt. Faszinierend. Durch die Berge von Matmata, vorbei an deren Sehenswürdigkeiten, erreichen wir im Dunkeln Douz, wo wir erstmals nach Stunden richtig Halt machen und um einen grossen Tisch sitzend endlich den so obligat wie süssen Berber-Tee geniessen dürfen. Dann geht's wieder weiter in die Wüste. Unsere Fahrer sind im tiefer werdenden Sand gefordert, wenngleich sie sich nichts anmerken lassen. Schliesslich finden sie in dieser fast endlosen Weite unser Nachtlager, das unsere Guides errichtet haben. Ringsum rasten verstreut unsere Kamele. Fast surreal, wie wir uns nun in einer fast biblischen Szenerie wiederfinden. Wir sitzen ums Feuer und dürfen eine wärmende Suppe entgegennehmen. Wir testen unsere ersten erlernten Arabisch-Wörter und sind erfreut, wie freundlich unser ‚Shukran' aufgenommen wird. Im spärlichem Schein des Feuers sind es aber vermutlich doch vor allem die Augen, die sprechen. Wir sind alle sehr müde und froh, einen Platz für die Nacht zugewiesen zu bekommen. Wider erwarten ist es nicht kalt, gegen Morgen aber doch eher frisch. Es schläft sich gar nicht schlecht auf dem Sand.

 
     
    Als wir noch im Dunkeln erwachen, sehen wir unsere Wüstenführer weiss gewandet vor hoch loderndem Feuer stehen, sich die versteiften Glieder wärmend. Unvergessliche Bilder. Wie inszeniert. Zum Frühstück gibt's Fladenbrot mit Feigenmarmelade, Kaffee und Tee. Danach dürfen wir unseren Chech aussuchen: blau, weiss oder beige. Mohamed setzt jedem von uns gekonnt unsere zukünftige und bald unerlässliche Kopfbedeckung auf. Wir fühlen uns wie zu Ritter geschlagen. Anschliessend schauen wir Mohamed, Achmed, Hammed, Mabrouk, Laid, allesamt Brüder, Bel Gessim und als Jüngster Nasser zu, wie sie die Kamele mit unserem doch beträchtlichen Gepäck beladen. Wir möchten helfen, haben aber vorerst von Tuten und Blasen keine Ahnung. Überhaupt merken wir deutlich, dass wir in der Wüste vollends auf das Wissen und die Erfahrung von unsern Führern angewiesen sind. Mit unserm kleinen Simon (27Mt.) werden wir Achmed und seinen drei Kamelen zugewiesen. Sind die Kamele einmal bepackt, geht's gleich los. Erst steigt die Mutter auf, dann erhebt sich das imposante Kamel, klein Simon wird dann in die Arme der Mutter hochgestemmt. Der Vater entschliesst sich zu ‚Nimschuh'. Herrlich dieses Laufen im Sahara-Sand, den wir uns niemals derart fein vorgestellt haben. Der Wind bläst uns angenehm ins Gesicht und lässt uns tief durchatmen. Nach drei bis vier Stunden laufen oder reiten kommen wir an unserem zweiten Lagerort an.
     
Jetzt können wir mit anpacken: die Kamele werden sofort abgeladen und es wird Holz gesucht und die ersten bereiten den Mittagssalat zu. Die Beduinen sind etwas enttäuscht, dass so rechte Schweizer doch eher unscharfe Messer dabei haben. Die Bäuche vollgeschlagen mit Salat, Brot und Granatäpfeln legen sich alle in den Schatten eines der Büsche, die wir, wie es uns die Beduinen vormachen, mit der nächstbesten Decke behängen und machen nun unseren Mittagsschlaf und erwachen erst wieder als wir Trommeln und Gesang hören, gewissermassen als Auftakt für die Abendzeit. Das Lager erwacht bei den sehr angenehmen Temperaturen wieder zu neuem Leben. Man findet sich zu Plaudereien, spielt mit Bällen oder schaut bei den Küchenarbeiten zu. Besonders das Teigmachen und Brotbacken beeindruckt doch sehr. Die Sonne geht allmählich im Westen unter und erfüllt jedes Wüstenklischee. Der fast volle Mond steht dem in nichts nach, geht vis à vis zur Sonne auf und taucht die Wüste in zauberhaftes Licht. Die Nacht bricht bereits an als wir uns zum Abendessen ans Feuer setzen. Der Eintopf findet überall dankbar Anklang. Hingegen wird dem Wein, für die ganze Woche immerhin gute 40 Liter, nach Meinung von Steffi noch zu wenig zugesprochen. Wie auch immer, die Szenerie könnte stimmungsvoller nicht sein. Und wie jeden Abend sind Trommeln, Singen und Tanzen unsere Verdauungshelfer und unser Seelenbalsam. Orientalische Musik hat dabei eindeutig Vorrang. Nimmt dann nach Stunden die Müdigkeit überhand weist uns Mohamed den Schlafplatz zu, der zuvor sorgfältigst nach Skorpionen, Schlangen etc. abgesucht wird. Dies gibt uns ein Gefühl der Sicherheit und des Beschütztseins für das wir Mohamed und allen andern sehr dankbar sind.    
     
    Die Tage verlaufen stets in ähnlichem Rhythmus. Mitte Woche geht zu unserm Bedauern das mittägliche Salatgemüse aus und mit ihm auch die herrlichen Oliven, die dann ab sofort keinen Grund mehr zu hamsterartigem Verhalten liefern. Dafür wird nun brav und dank Rita's Fürsorge der Wein vermehrt beachtet und die geteilten Granatäpfel mit Ramazotti angereichert. So lässt sich's dann wunderbar in den Mittagsschlaf gleiten.
Die Wüstenlandschaft ändert immer wieder ihr Gesicht. Mal steinig und mit zahlreichen lichten Büschen versehen, dann bauen sich reine Sanddünen zu eigentlichen Hügellandschaften auf, mitunter fast ohne schattenspendende Büsche, die wir ansonsten gerne als Brennmaterial verwenden. Unsere sieben Führer Mohamed, Hammed, Mabrouk, Achmed, Laid, Nasser und Bel Gessim sehen wir nie auf einem Kamel sitzen. Stattdessen laufen sie mit unglaublicher Leichtigkeit und erst wenn man neben ihnen herläuft, merkt man wie hoch das Tempo ist. Von Zeit zu Zeit legen sie sich ihren Kamelstock über Nacken und Schultern und lassen beidseits ihre Arme darüber hängen um so nach langem Gehen das in den Händen gestaute Blut wieder zurück zirkulieren zu lassen. Kleidung, Gepäck, Nahrung und Verhalten sind ganz den Bedingungen der Wüste angepasst. Erst nach und nach können wir deren Sinnhaftigkeit erkennen. Es fällt uns immer wieder auf, wie aufmerksam die sieben Wüstensöhne überhaupt sind. Beispielsweise an jenem Abend, ums Lagerfeuer sitzend und die Sterne betrachtend, als Mohamed unter den Füssen des Jüngsten eine Akrab-Spur (Skorpion) vermutet, das Kind aufhebt, und in der Folge tatsächlich so einem gefürchteter Tier auf die Spur kommt. Da gibt es dann für die giftigen Wesen jeweils kein Entkommen.
     
Überaus beeindruckend erleben wir unsere Kamele: erheben sich auf ein Schnalzen mit über zweihundert Kilo schwerem Gepäck als wär's ein Nichts um dann während Stunden mühelos und majestätisch über den Sand zu trotten, anspruchslos und gutmütig zugleich. Urzeitliche Meister der Gelassenheit. Und mit ihren langen Augenwimpern wirken sie fast charmant.
Im Verlaufe der Tage wächst die Gruppe zusehends zusammen, man setzt sich immer näher zueinander, die Kulturen tauschen sich aus, man hat Zeit, sich kennenzulernen. Man versucht sich in arabisch, französisch, deutsch und mit Händen und Füssen zu verständigen, immer wieder Grund zu Heiterkeit und Gelächter. Die Freude an Musik ist ein wichtiges Bindeglied. Ach ja, ganz vergessen: Schwäbisch ist super für die Lachmuskeln! A propos: Steffi erweist sich als wunderbare Reiseleiterin, nimmt sich allen Sorgen und Sörgelchen an und sorgt auch immer wieder für die Verständigung und die Brücken zwischen den Kulturen, übersetzt unentwegt von Arabisch ins Deutsche und umgekehrt, und auch von Schwäbisch ins Deutsche. Das Wüstenleben fordert einen zuweilen ziemlich: Nasen und Augen können triefen, jeder Körperteil kann schmerzen, die Verdauung kann einen rund um die Uhr beschäftigen, dass einem jede Lust vergeht (ausser die aufs Singen...), unserer schwäbschen Powerfrau mit Herz geht die Vollbeschäftigung nicht aus. Unterwegs lässt sich's prima plaudern, immer wieder auch singen, dann auch durchhalten bis zur nächsten Rast, wo wir uns im Schatten von Büschen zu Boden lassen, weil dort am kühlsten und der Sauerstoffgehalt am höchsten ist.
   
     
    Die Wüste enthüllt ganz unerwartet unglaubliche Schönheiten, wir dürfen uns aufgehoben fühlen in dieser grandiosen Landschaft. Die Nächte sind überraschend warm und durch das Licht des Mondes wirkt die Wüste mit ihrer spärlichen Vegetation, den Kamelen und dem Berberzelt wie verzaubert.
Am fünften Tag wollen wir die Oase Ksar Ghilane, das Ziel unserer Wüstenwanderung, erreichen. Zuvor geht die Reise am Fort des alten römischen Limes vorbei. Erste Jeeps kommen uns entgegen und Ausflügler aus der Oase auf lärmigen Quads als ungebetene Vorboten der nahenden Zivilisation. Es scheint, dass es vorbei ist mit der wohltuenden und erholsamen Ruhe der Wüste. Unsere Karawane erscheint wie aus einer andern Zeit. Am Rande der Oase, die schon von weitem als grüner Gürtel aus Dattelpalmen erkennbar ist, schlagen wir unser letztes Lager auf. Gespannt darauf, was uns erwartet, machen wir uns auf ins Innere der Oase, wo sich eine Quelle und ein schwefelhaltiger Badeteich befindet. Da hat sie uns wieder, die Zivilisation mit ihrem lärmigen Treiben. Wehmütige Gedanken zurück in die Wüste kommen auf. Am andern Morgen spaziert unsere Gruppe zusammen mit Mohamed durch die Dattelplantagen und wird unterwegs auf dem Weg zum gegenüberliegenden Rand der Oase, wo in einer Siedlung Mohamed's Mutter lebt, reichlich mit Granatäpfeln vom Baum beschenkt. Sie freut sich über unsern Besuch. Bei Tee, Granatäpfel und Keksen wird erzählt, so gut wie's eben geht. Wir beschliessen eine Ziege zu kaufen und für das abendliche Abschiedsmahl schlachten zu lassen. Anschliessend machen wir noch kurz Halt in einem kleinen Lebensmittelladen am Rande der Siedlung (für dortige Verhältnisse ein Supermarkt, wie Steffi bemerkt), decken uns mit Süssigkeiten, Gewürzen, Harissa, Getränken etc. ein und lassen nebenbei den Umsatz exponential in die Höhe schnellen. Dann geht's wieder zurück Richtung Lager. Unterwegs versuchen wir einigen dreckigen Wasserlachen, die sich in den Untiefen der Sandpiste gebildet haben, auszuweichen, was nicht allen gelingt und mit lehmverschmierten Beinen honoriert wird. ‚Wotsch es Füechttüechli?' hört man jemanden hilfsbereit rufen, was Steffi endlos zu belustigen scheint. Das Bonmot der Gruppe Rookies Oktober 2009 ist geboren.
     
Nach nochmaligem Besuch der Souvenirläden um den Teich finden wir uns wieder im Lager ein. Die kleine Ziege ist dort auch schon an einem Strick festgebunden, nichts wissend von ihrem beschlossenen Schicksal. Vor dem Nachtessen werden unsere Mitbringsel auf sieben stattliche Häufchen aufgeteilt um sie dann unsern Wüstenführern zu übergeben, nicht ohne zuvor noch ein altes schweizerdeutsches Lied zum Besten gegeben zu haben. Stimmungsmässig ist schon der Wehmut des Abschieds spürbar. Der Blick in die Wüste in der Abenddämmerung in den wärmsten Farbtönen bleibt uns unvergessen. Stunden später scheinen auch die Milliarden Sterne ihr letztes für uns zu geben.
Bevor wir uns zum Schlafen legen, mahnt uns Steffi, dass wir uns um zwei Uhr in der Nacht für die Abreise mit den Taxi's bereitzuhalten hätten. Wir sollten aber ruhig schlafen, sie würde den Weckdienst übernehmen. Um Viertel vor zwei treffen dann die Taxis im Lager ein. Ziemlich alle schlüpfen aus ihren Schlafsäcken, alle bis auf unseren Weckdienst, der ruhig weiterschläft. Wir packen also unsere Gepäckstücke zusammen und verabschieden uns von Hammed, Mabrouk, Achmed, Laid, Nasser und Bel Gessim und versuchen unsere tiefe Dankbarkeit ihnen gegenüber irgendwie auszudrücken. Wie schön, dass Herzlichkeit in allen Sprachen verstanden werden kann. Familie Hegner bleibt auch zurück, da sie noch eine Woche Strandferien an Tunesiens Küste geplant hat. Begleitet von Mohammed schaffen wir es tatsächlich, dass wir mit den Taxis um sieben Minuten nach zwei abfahren können. Eine ganz beachtliche Leistung fürwahr!
Die rasante Fahrt durch die Nacht zurück zum Flughafen, durch Wüstenabschnitte, spärlich beleuchtete Dörfer und Städte, sich verändernden Landschaften, wirkt wie eine Kamerafahrt in einem Roadmovie. Wir versuchen zu schlafen im Bewusstsein, die letzten Blicke auf Tunesien erhaschen zu können.
Abschied auch vom Land und von Landschaften. Am meisten wirken unsere sieben Wüstenführer in uns nach: Achmed, Nasser, Hammed, Mabrouk, Laid, Bel Gessim und schliesslich Mohamed, der uns vor sieben Tagen am Flughafen abgeholt hat und uns nun wieder ebendort abgibt. Und auch von uns bleibt etwas zurück in diesem Land, in dieser Wüste. Bislämma! Auf Wiedersehen! Inschallah!
Und ganz grossen Dank an Steffi!

Adrian